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26.06.2024

EUROPARECHT Sieben Jahrzehnte europäische Einigung und Bundesarbeitsgericht- Europäisches Arbeitsrecht zwischen Vertiefung und Subsidiarität

Der Blick auf die Vorträge zeigt die Bedeutung des Europarechtlichen Symposiums 

Auf Einladung der Präsidentin des Bundesarbeitsgerichtes, Frau Inken Gallner, fand am 6. und 7. Juni 2024 das 11. europarechtliche Symposium im Haus des Bundesarbeitsgerichtes in Erfurt statt. Die große Zahl hochrangiger Teilnehmer spiegelt die Bedeutung des Europarechtlichen Symposiums und des deutschen höchsten Arbeitsgerichtes in der nationalen Wirtschaft wider.

Der Zeitpunkt war gleichsam eine Punktlandung. Denn die Europawahlen in Deutschland

(9. Juni 2024) standen vor der Tür. Zugleich gaben 70 Jahre des Bestehens des im Jahre 1954 gegründeten Bundesarbeitsgerichts Anlass für die Würdigung der Arbeit dieses hohen nationalen Gerichtes beim Aufbau des deutschen und Mitaufbau des europäischen Arbeitsrechts.

Der Blick auf die Vorträge zeigt die Bedeutung des Europarechtlichen Symposiums:

Verhältnis von Europäischem Recht zum deutschen Verfassungsrecht

Der Präsident des Bundesverfassungsgerichtes Prof. Dr. Stefan Harbarth, LL.M. (Yale), erläuterte in einem europarechtlich tiefgreifenden Vortrag die Wechselwirkungen von nationaler Verfassung und Europarecht, von Primärrecht und Sekundärrecht.

Systematische, kohärente und einheitliche Auslegung von Unionsrecht durch den EuGH

Francois Biltgen, Präsident der Siebenten Kammer des Gerichtshofes der Europäischen Union, zeigte fünf bedeutsame Entwicklungen in der Rechtsprechung des Gerichtshofes auf: Zum ursprünglichen EWG-Vertrag, zur Arbeitszeitrichtlinie , zur Antidiskriminierungsrichtlinie, zu den Grundrechten und zu den nationalstaatlichen Kompetenzen und Ermessensspielräumen.

François Biltgen fasste die Aufgaben des EuGH zusammen:

– Überprüfung der Rechtmäßigkeit der Handlungen der Organe der Europäischen Union

– Überwachung des Vollzugs der sich aus den Europäischen Verträgen

ergebenden Verpflichtungen der Mitgliedsstaaten den Verpflichtungen

– Systematische, kohärente und einheitliche Auslegung des Unionsrechts auf

Ersuchen nationaler Gerichte.

Der EuGH umfasse 54 Mitglieder des Gerichts, 27 Richter und 11 Generalanwälte des Gerichtshofes und insgesamt etwa 2200 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter mit Mehrsprachigkeit. Die Urteile würden in 24 offiziellen Sprachen der EU verkündet. Die Arbeitssprache sei das Französische, die meist gebrauchte Sprache die deutsche Sprache.

Das Bundesarbeitsgericht habe durch bisher 72 Vorlagen an den Gerichtshof durch unabhängige Richter die ebenso unabhängige Rechtsprechung des EuGH entwickeln können. Unabhängig bedeute für den Gerichtshof eine eingehende Prüfung der Fakten der nationalen Rechtslage und der Relevanz der Auslegung des Unionsrechtes für den konkret zu entscheidenden Fall. Der EuGH ermuntere das vorlegende Gericht, seine eigene Rechtsansicht „offen und ohne Furcht oder Ehrfurcht“ darzulegen.

Das erste Ersuchen habe das Bundesarbeitsgericht im Jahr 1969 und das vorläufig letzte am 14.April 2024 (Katholische Schwangerschaftsberatung C 258/24) an den Gerichtshof gerichtet. Viele der Vorlagen hätten es dem Gerichtshof ermöglicht, seine Rechtsprechung auf- und auszubauen.

François Biltgen verdeutlichte die Bedeutung der Grundrechte mit der Bemerkung, dass Mitgliedsstaaten, die in eine Pflichtenkollision geraten, die betreffenden völkerrechtlichen Verträge kündigen sollten.

Im Weiteren zeigte François Biltgen anhand grundlegender Entscheidungen des EuGH Schwerpunkte der Vorlagen an den Gerichtshof auf: Zur gleichen Entlohnung von Geschlechtern, zum autonomen Begriff des Arbeitnehmers, zur Wahrung des Rechts auf einen effektiven Jahresurlaub, zur Massenentlassungsrichtlinie, Betriebsübergangsrichtlinie, Antidiskriminierungsrichtlinie, Insolvenzrichtlinie, Arbeitszeitrichtlinie für den Schutz der Gesundheit des Arbeitnehmers und der Sicherheit am Arbeitsplatz.

In der Schlussbetrachtung verdeutlichte François Biltgen, dass der Dialog zwischen dem EuGH und dem Bundesarbeitsgericht sich als äußerst fruchtbar für die Entwicklung des EU Rechtes erwiesen habe. Der Dialog sei beendet, wenn der vorlegende Richter des nationalen Gerichtes den Fall gemäß der Antwort des Gerichtes zu entscheiden habe. Die Entscheidung des EuGH über die Vorlagenfrage binde den nationalen Richter zwar rechtlich, aber nicht in der sachlichen Bewertung der Rechtssache.

François Biltgen betonte, dass er sich angesichts der Aktivität des BAG zur Klärung europarechtlicher Fragen durch Vorlage der Fragen an den EuGH auf viele weitere interessante Vorlagenfragen des BAG freue, weil deren Beantwortung durch den EuGH sowohl das EU-Recht als auch das Arbeitsrecht vorantreiben werde.

Francois Biltgen: Der Präsidentin des Bundesarbeitsgerichtes Inken Gallner, gilt der große Dank des Gerichtshofes für das Europarechtliches Symposium 2024 und der herzliche Glückwunsch an alle Richterinnen und Richter sowie deren Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zum 70-jährigen Bestehen des Bundesarbeitsgerichtes.

Weitere Themen im europarechtlichen Symposium

Dem Europarechtlichen Symposium gaben weitere Themen einen besonderen Reiz:

Entgeltgleichheit zwischen Primärrecht, Richtlinie und deutschem Recht“

(Dr. Doris-Maria Schuster)

Das Europäische Arbeitsrecht als Teil einer Wirtschafts-, Währungs-, und Werteunion zwischen Harmonisierung und Subsidiarität(Frau Professorin Dr. Claudia Schuster, Universität Hamburg).

Stand des Forschungsvorhabens – Geschichte des Bundesarbeitsgerichts“

(Dr. Samuel Miner, Institut für Zeitgeschichte, München, Berlin)

Fazit:

Das Europarechtliche Symposium des Bundesarbeitsgerichtes hat auch im Jahr 2024 den Dialog der Entwicklungen von Europarecht und nationalem Recht und den Weg zum Ziel der einheitlichen Auslegung des Unionsrechts durch die hohen Hüter des europäischen und nationalen Rechtes vorangebracht.

Hinweis: Die Vorträge werden demnächst in der Fachzeitschrift Recht der Arbeit (RdA)

veröffentlicht. Im Übrigen ist im Jahre 2022 im Beck Verlag die 4. Auflage des Kommentars zum europäischen Arbeitsrecht der Herausgeber Franzen, Gallner, Oetker erschienen.

Dr. F.-Wilhelm Lehmann