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05.07.2024

Einzelarbeitsvertragsrecht: Annahmeverzug, böswilliges Unterlassen anderweitigen Verdienstes, sozialrechtliche Verpflichtung zu Arbeitslosmeldung

Die Entscheidung des BAG vom 7. Februar 2024 (5 AZR 177/ 23) zum Thema des Unterlassens eines anderweitigen Verdienstes § 11 Nr. 2 KSchG ist ein für manchen Arbeitsrechtler ein bisher noch wenig erkannter und gleichsam von Moos überwucherter Stein am Wegrand eines Kündigungsschutzprozesses, der den Wanderer vor Fallgruben auf dem Weg warnt.

Der Weg führt vom Anfang eines Kündigungsschutzprozesses bis in die Ferne einer rechtskräftigen Entscheidung durch das Arbeitsgericht oder durch eine höhere richterliche Instanz.
Je nachdem, ob die letzte Instanz feststellt, dass die vom Arbeitnehmer mit der Kündigungsschutzklage angegriffene Kündigung oder mit der Entfristungsklage angegriffene Befristung des Arbeitsverhältnisses wirksam ist oder nicht, ergeben sich für den „Wanderer“ zum Teil ungeahnte Fallen.
 

Die Entscheidung des BAG vom 7. Februar 2024 (5 AZR 177/ 23) zum Thema des Unterlassens eines anderweitigen Verdienstes § 11 Nr. 2 KSchG ist ein für manchen Arbeitsrechtler ein bisher noch wenig erkannter und gleichsam von Moos überwucherter Stein am Wegrand eines Kündigungsschutzprozesses, der den Wanderer vor Fallgruben auf dem Weg warnt.

Der Weg führt vom Anfang eines Kündigungsschutzprozesses bis in die Ferne einer rechtskräftigen Entscheidung durch das Arbeitsgericht oder durch eine höhere richterliche Instanz.

Je nachdem, ob die letzte Instanz feststellt, dass die vom Arbeitnehmer mit der Kündigungsschutzklage angegriffene Kündigung oder mit der Entfristungsklage angegriffene Befristung des Arbeitsverhältnisses wirksam ist oder nicht, ergeben sich für den „Wanderer“ zum Teil ungeahnte Fallen.

Im Einzelnen:  Mancher Arbeitnehmer als Wanderer auf einem zuweilen über mehrere Jahre sich hinstreckenden Prozess weg mag sich sogar freuen, wenn ihn der Arbeitgeber nach dem Ausspruch einer außerordentlichen Kündigung aus wichtigem Grund oder einer ordentlichen Kündigung von der Arbeit freigestellt hat.

Hier bestehen Fallgruben.

Im Falle der Freistellung von der Arbeit bietet der gekündigte Arbeitnehmer dem Arbeitgeber seine Arbeitskraft an.

Das Angebot kann in der Erhebung der Kündigungsschutzklage mit dem Klageanspruch auf Weiterbeschäftigung liegen.

Wenn der Arbeitgeber die Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers trotz dessen Arbeitsangebot

ablehnt, kommt der Arbeitgeber als „Gläubiger“ der vom Arbeitnehmer ( „Schuldner“) zu erbringenden Arbeitsleistung in den Verzug der Annahme der Arbeitsleistung des Schuldners.

Der Arbeitgeber, der sich als im Annahmeverzug befindet, muss das Arbeitsentgelt solange fortbezahlen, bis ein rechtskräftiges Urteil feststellt, ob die Kündigung berechtigt gewesen ist oder nicht. In Bestandsschutzprozessen klagt der vom Arbeitnehmer beauftragte Rechtsanwalt nicht selten Monat für Monat das vom Arbeitgeber geschuldete Arbeitsentgelt ein.

Wenn sich im Ergebnis des Bestandsschutzprozesses herausstellt, dass die Kündigung des Arbeitgebers unwirksam gewesen ist, hat der Arbeitnehmer Anspruch auf das mit eingeklagte Arbeitsentgelt – abzüglich von Leistungen der Sozialversicherungsträger. Denn Doppelzahlungen vermeidet das Sozialsystem.

Wenn der Arbeitnehmer sich bei der Agentur für Arbeit als arbeitssuchend gemeldet hat und die Arbeitsagentur ihm Arbeitslosengeld zahlt, geht der Anspruch auf das Arbeitsentgelt in Höhe des gezahlten Arbeitslosengeldes auf die Arbeitsagentur über. Diese fordert bei Unwirksamkeit der Kündigung die vorläufig gewährten Leistungen vom Arbeitgeber zurück

Der Arbeitnehmer muss je nach Einzelfall sogar eine Verschlechterung der Arbeitsbedingungen hinnehmen.

 Aus dem Urteil des Bundesarbeitsgerichtes vom 7. Februar 2024 (5 AZR 177/ 23) folgt auch, dass der Arbeitgeber die Möglichkeit hat, dem Arbeitnehmer geeignete Stellenangebote zum Beispiel aus Zeitungsannoncen oder privaten Jobportalen zu übermitteln, um ihn aktiv zur Prüfung anderweitiger Beschäftigungsoptionen zu veranlassen. 

 Hoch interessant wird es dann auch für die Rechtsanwälte.

Gemäß der Berufsordnung dürfen die Mandanten sich nicht unter Umgehung des eigenen Rechtsanwaltes an die Gegenseite wenden. Dies heißt, dass der Anwalt der beklagten Firma zunächst prüfen muss, ob die Stellenagebote, die dem Kläger übermittelt werden sollen, den Kriterien des BAG standhalten würden.

 Der Anwalt des Klägers muss ebenso die Angebote auf den Prüfstand stellen. Denn vom Ergebnis der Prüfungen hängt zu gegebener Zeit ab, ob der Arbeitgeber berechtigterweise Einwendungen gemäß § 11 Nr. 2 KSchG erheben darf.

Die Rechtsanwälte sind somit in Zukunft stärker denn je gefordert, sich auch auf dem Gebiet des § 11 Nr. 2 KSchG zu tummeln. 

 Gez. Dr. F.-Wilhelm Lehmann


Nichtamtliche Orientierungssätze:

1. Die Beurteilung der Böswilligkeit i.S.v. § 11 Nr. 2 KSchG erfordert stets eine unter Bewertung aller Umstände des konkreten Falls vorzunehmende Gesamtabwägung der beiderseitigen Interessen. Hierbei kann eine Verletzung sozialrechtlicher Handlungspflichten durch den Arbeitnehmer zu berücksichtigen sein, z.B. ein Verstoß gegen die Verpflichtung, sich nach § 38 Abs. 1 SGB III arbeitsuchend zu melden. Ebenso können sich im Einzelfall aus der Regelung des § 2 Abs. 5 SGB III, wonach der Arbeitnehmer zur aktiven Mitarbeit bei der Vermeidung oder Beendigung von Arbeitslosigkeit angehalten ist, Anknüpfungspunkte für die Konkretisierung des böswillig unterlassenen anderweitigen Verdienstes ergeben. Ausgehend hiervon ist auch ein Verhalten des Arbeitnehmers zu seinen Lasten zu berücksichtigen, mit dem er verhindert, dass die Agentur für Arbeit ihrem Vermittlungsauftrag nachkommt.

2. Anrechenbar nach § 11 Nr. 2 KSchG ist nur böswillig unterlassener Verdienst aus anderweitiger zumutbarer Arbeit. Die Zumutbarkeit beurteilt sich insbesondere nach der Art der Arbeit, der Person des Arbeitgebers oder den sonstigen Arbeitsbedingungen. Auch hinsichtlich der Beschäftigungsmöglichkeit bei einem Dritten folgt die Unzumutbarkeit nicht allein aus einem im Verhältnis zum bisherigen niedrigeren Verdienst. Es ist jeweils nach den konkreten Umständen des Einzelfalls zu ermitteln, inwieweit eine Verschlechterung der Arbeitsbedingungen z.B. nach der Art der Tätigkeit, der Arbeitszeit oder des Ortes der anderweitigen Beschäftigung sowie hinsichtlich des Verdienstes hinnehmbar ist. Dabei muss der Arbeitnehmer eine erhebliche Verschlechterung der Arbeitsbedingungen grundsätzlich nicht akzeptieren.


BAG, Urt. v. 07.02.2024 – 5 AZR 177/23 –