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Wussten Sie schon, dass...

Mehrere Bundesländer die Polizeigesetze reformieren?

| Wussten Sie schon, dass…

„Möglichst früh eingreifen“ lautet in Zukunft die Devise.

Die Polizei soll auf der Ebene der Länder, die ihre Polizeigesetze verändern, in Zukunft zur Abwehr von Gefahren erheblich früher eingreifen dürfen, als dies bisher auf der Grundlage der zurzeit noch geltenden Polizeigesetze rechtlich möglich ist.

Die neuen Polizeigesetze haben ein notwendiges Regelungsziel. Jedoch ist sehr zweifelhaft, ob der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit der Mittel, den der Gesetzgeber im Bund und in den Ländern zu beachten hat, in den neuen Polizeigesetzen gewahrt werden wird.

Die jetzigen Vorlagen lassen erhebliche Zweifel an der Rechtsstaatlichkeit aufkommen.

Worum geht es?

Der Staat hat gegenüber den Bürgern die verfassungsmäßig gebotene Fürsorgeplicht, das Dasein eines jeden Bürgers zu sichern. Dies ist die aus Art. 20 Grundgesetz entspringende Pflicht des Staates zur Daseinvorsorge.  Dies betrifft auch die Abwehr von Gefahren des Terrorismus.

Die Abwehr von Gefahren in den Bundesländern durch Ordnungsbehördengesetze und Polizeigesetze ist eine Angelegenheit der Bundesländer.  Insoweit ist der jeweilige Landesgesetzgeber für die Schaffung der entsprechenden Gesetze und Verordnungen sowie den Einsatz der Polizei ausschließlich zuständig.

Die polizeilichen Befugnisse sind bereits im geltenden Recht hinreichend. Die Ordnungsbehörde oder die Polizei dürfen bei einer konkreten Gefahr für die Allgemeinheit oder für einen Einzelnen eingreifen, so wenn Leben und Gesundheit konkret gefährdet sind.

Die derzeit in der Phase der Gesetzgebung der Länder befindlichen neuen Polizeigesetze erweitern den bisherigen Rahmen erheblich. Die noch nicht feststehende, aber wahrscheinliche Gefahr oder mutmaßliche Gefährdung soll ausreichen, damit die Ordnungsbehörde oder Polizei tätig wird.

Was bedeutet dies?

Die Polizeigesetze einzelner Bundesländer werden sie in Zukunft dadurch erweitert, dass die Polizei auch die mutmaßliche Gefährdung überwachen darf. Es genügt eine hohe Wahrscheinlichkeit der Notwendigkeit eines frühen Eingreifens der Polizei. Schon Algorithmen, Wahrscheinlichkeitsrechnungen  und Vorfeldtatbestände können den Eingriff auslösen.

Die Polizei soll im Namen des Staates zur Prävention von möglichen Gefahren eingreifen und mutmaßliche Täter ohne richterlichen Beschluss in Haft nehmen oder Fußfesseln anlegen dürfen.

Sie darf, sobald die geänderten Polizeigesetze in Kraft gesetzt sind, die Post eines jeden Ausländers und deutschen Bürgers öffnen, E-Mails überwachen, Telefonate abhören und kopieren oder sogar auf den Namen verdächtiger Bürger E-Mails als Lockmittel versenden dürfen. Sie darf auch Bürger treffen, von denen keine Gefahr ausgeht.

Wie sieht die Praxis in Zukunft aus?

Es genügt die Meinung eines Polizisten, dass vom Bürger Gefahr ausgeht. Die voraufgehende Einholung eines richterlichen Beschlusses, wie es die deutsche Gesetzgebung bisher verlangt, ist dann nicht mehr erforderlich, weil sofortiges staatliches Eingreifen jederzeit legitim sein wird.

Mit ähnlichen – tatsächlich demokratisch beschlossenen - Gesetzen - sind beispielweise die Festnahmen von etwa 150.000 Erdogan-Gegnern in der Türkei mit dem Willen des Volkes, das die Regierung wiedergewählt hat, demokratisch ermöglicht worden.

Was bedeutet in Zukunft noch der Datenschutz?

Der Datenschutz, insbesondere das am 25 Mai 2018 in Kraft tretende veränderte Bundesdatenschutzgesetz beruhigt die Bürger.

Fazit:

 Polizeigesetze der Länder erlauben staatliches  Handeln zur möglichst frühen Prävention Der Staat verlangt von den Bürgern und sich selbst die Einhaltung des Datenschutzes auf der Grundlage der europäischen Datenschutzgrundverordnung. Sie erfordert die Abwägung der Interessen des Einzelnen am Schutz der Daten und des Interesses des Staates am Eingriff nach dem Prinzip der Verhältnismäßigkeit der Mittel. Diese Interessenabwägung der sich aller Wahrscheinlichkeit abzeichnenden Gefahr aufgehoben werden.

Unbestimmte und vage formulierte unbestimmte Rechtsbegriffe erlauben dem Staat ein Spiel ohne Grenzen. Missliebige Bürger können jederzeit festgenommen werden.

Wie steht es mit dem Rechtsstaat?

Das Risiko, einen absoluten Überwachungsstaat zu erhalten - und sei es auch nur in den Bundesländern, denen die Polizei im Landesrecht untersteht, - ist dem Greifen nahe.

Für Zweifler, die den Mut haben, sich für die Erhaltung des Rechtsstaates stark zu machen, gibt die Möglichkeit der Anrufung des Bundesverfassungsgerichts und/ oder des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte Hoffnung auf eine Klarstellung.

Jedoch ist zu bedenken, dass diese hohen Gerichte keine Polizeitruppen auf ihrer Seite haben, um die Nichtanwendung verfassungswidriger und menschenrechtswidriger Gesetze durchzusetzen.

Um ins Extrem zu gehen: Die Polizei könnte in Zukunft auf der Grundlage eines veränderten Polizeigesetzes beispielsweise einen hohen Richter, der seine persönliche  Meinung über die Verfassungswidrigkeit des Polizeigesetzes sagt, in Zukunft als Gegner der Verfassung und des demokratischen Rechtsstaates festnehmen und Fußfesseln anlegen mit der Begründung, dass ein derartiges Polizeigesetz demokratisch zustande gekommen ist und daher der festzunehmende Richter  ein Verfassungsgegner ist.

Ein ebensolches Beispiel wäre denkbar, dass die Polizei einen Unternehmer verhaftet, welcher sich möglicherweise korrumpieren ließ oder die Regeln der Compliance nicht beachtet oder verbotene Kartellabsprachen getroffen hat.

Herr Erdogan lässt grüßen.

 

Dr. F.-Wilhelm Lehmann

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