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Wussten Sie schon, dass...

Air Berlin –Beschluss des Arbeitsgerichts Berlin vom 22.12.2017

| Wussten Sie schon, dass…

Wussten Sie schon, dass das Arbeitsgericht Berlin den Antrag der Air Berlin am 22.12.2017 auf Erteilung der Zustimmung zur Stilllegung des Betriebs der Air Berlin als unzulässig abgewiesen hat?

Die in der Insolvenz in Eigenverwaltung aktive Air Berlin PLC & Co. Luftverkehrs KG hatte beim Arbeitsgericht Berlin den Antrag gestellt, ihr gemäß § 122 Insolvenzordnung (InsO) die Stilllegung des Betriebs zu gestatten, ohne hierüber zuvor mit der Personalvertretung Kabine (Betriebsrat) Verhandlungen in einer Einigungsstelle geführt zu haben.

1.Kein Rechtsschutzinteresse von Air Berlin auf Zustimmung zur Betriebsstilllegung

Das Arbeitsgericht Berlin hat mit Beschluss vom 22.12.2017 (41 BV 13752/17) den Antrag der abgewiesen und die Abweisung des Antrags mit dem fehlenden Rechtsschutzinteresse der Air Berlin begründet.

Air Berlin habe vor Beginn der Verhandlungen über einen Interessenausgleich mit der Betriebsstilllegung begonnen, indem die Luftfahrtgesellschaft sämtlichen Pilotinnen und Piloten gekündigt hat. Für ein gerichtliches Verfahren auf Zustimmung zu einer Betriebsstilllegung fehle es daher an dem erforderlichen Rechtsschutzinteresse.

Das Arbeitsgericht hat die Rechtsbeschwerde an das Bundesarbeitsgericht nicht zugelassen.

2. Erläuterungen zur Entscheidung

Die Abweisung des Antrags erfolgte bereits in der ersten Prüfstufe des Arbeitsgerichts, welche die Zulässigkeit des Antrags betrifft. Das Gericht erachtete den Antrag als nicht als zulässig, weil die Voraussetzungen des § 122 InsO von Arbeitgeberseite nicht eingehalten sind.

Mit der zweiten Prüfstufe der Begründung brauchte sich das Gericht nach allgemeinen Denkgesetzen – der Logik - nicht mehr zu befassen.

Obgleich die schriftlichen Entscheidungsgründe noch nicht vorliegen, lässt sich der Pressenotiz des Arbeitsgerichts Berlin bereits ein Kernpunkt der Entscheidung entnehmen.

Wer sich –wie die Air Berlin - selbst nicht an die Bedingungen des § 122 InsO hält, kann sich nicht auf Rechte aus diesem Gesetz berufen. Air Berlin hat keinen Anspruch auf Rechtsschutz Zwar haben in subjektiver Betrachtung Air Berlin und der Insolvenzverwalter (Sachwalter) ein Rechtsschutzinteresse, den Betrieb stillzulegen. Jedoch fehlt es in objektiver Hinsicht am Rechtsschutzinteresse, weil ein eigener Verstoß von Air Berlin gegen § 122 InsO die Zustimmung des Arbeitsgerichts zur Betriebsstillegung nicht rechtfertigen würde.

3. Worum geht es bei dem Vorrang des Versuchs eines Interessenausgleichs?

Vor jeder Betriebsstillegung hat unter den Voraussetzungen des Betriebsverfassungsgesetzes (§ 111 ff. BetrVG) der Versuch eines Interessenausgleichs zwischen den Betriebsparteien zu erfolgen. Dies bedeutet, dass der Arbeitgeber bereits im Stadium der Planung den Wirtschaftsausschuss des Betriebsrates rechtzeitig und umfassend unterrichtet und anschließend den Betriebsrat –die Personalvertretung- in die Planung einbezieht und mit dem Betriebsrat die vom Arbeitgeber geplanten Maßnahmen der Betriebsänderung und des Personalabbaues berät. Es geht hierbei um den Versuch der Betriebsparteien mit unterschiedlichen Interessen und trotz unterschiedlicher Interessenlage einen Ausgleich der Interessen zu finden und sich auf den Interessenausgleich zu einigen.  Wenn keine Einigung auf der betrieblichen Ebene über das Ob, Wann und Wie der geplanten Maßnahmen erzielt wird, ist die Einigungsstelle (§ 76 BetrVG) von den Betriebsparteien oder einer der Betriebsparteien anzurufen. Die Einigungsstelle soll die Einigung herbeiführen oder nach weiteren Verhandlungen vor der Einigungsstelle feststellen, dass der Versuch des Interessenausgleichs gescheitert ist.

Der Sinn des Gesetzes liegt in Folgendem:

Der Betriebsrat soll in der Lage sein, seine eigenen Vorstellungen über Lösungen beim Arbeitgeber so rechtzeitig einzubringen, dass sie in die endgültige Beschlussfassung des Arbeitgebers einfließen können. Die Maßnahme -beispielsweise die Betriebsstillegung oder Massenentlassung –dürfen beim Arbeitgeber nicht eine schon beschlossene Sache sein. Findet dies der Betriebsrat /Personalvertretung heraus, dann darf der Arbeitgeber die geplanten Maßnahmen nicht umsetzen, also nicht den Betreib schließen oder Massenkündigungen aussprechen.

4. Schadensersatz bei Nichtbeachtung des formellen Einigungsverfahrens

Wenn der Arbeitgeber die Maßnahmen ohne den ernsthaften Versuch des Interessenausgleichs durchführt oder ohne die Beratung mit dem Betriebsrat einen endgültigen Beschluss über die Maßnahme fasst, dann macht er sich gegenüber jedem einzelnen betroffenen Beschäftigten schadensersatzpflichtig (§ 113 BetrVG).

5. Ausnahme von der dem Vorrang der Einigung vor Maßnahmen des Arbeitgebers

Eine Ausnahme von dem gesetzlichen Prinzip der Einigung vor Durchführung der Maßnahmen bildet unter anderem §122 InsO.

In der Insolvenz darf der Arbeitgeber ausnahmsweise die Betriebsänderung- beispielsweise die Silllegung des Betriebs oder Teilbetriebs - ohne den Versuch des Interessenausgleichs nur unter der Voraussetzung durchführen, dass der Arbeitgeber den Betriebsrat in die Planung einbezogen hat und die Betriebsparteien nach Verhandlungsbeginn mindestens drei Wochen ergebnislos über den Interessenausgleich ernsthaft-notfalls durch Vermittlung der Einigungsstelle -verhandelt haben. Sollte der Betriebsrat Verhandlungen blockieren, so ist es nach § 122 InsO erforderlich, dass der Arbeitgeber den Betriebsrat drei Wochen vor dem Antrag beim Arbeitsgericht schriftlich zur Aufnahme von Verhandlungen aufgefordert hat, jedoch der Betriebsrat bis zum Antrag der Aufforderung nicht gefolgt ist.

6. Weiteres Vorgehen von Air Berlin nach der Entscheidung des Arbeitsgerichts

Air Berlin wird nunmehr die Formalitäten nachzuholen haben. Es darf die Betriebsänderung erst durchführen, wenn eine Einigung der Betriebsparteien- notfalls über die Einigungsstelle (§ 76 BetrVG) erfolgt ist, oder wenn die Einigungsstelle das Scheitern des Versuchs der Herbeiführung eines Interessenausgleichs formell festgestellt hat.

Es bleibt der Air Berlin unbenommen, nach Erfüllung der gesetzlichen Voraussetzungen des 122 InsO erneut einen Antrag bei Gericht zu stellen.

7. Schutz der Beschäftigten durch Gesetz und Rechtsprechung

Die Entscheidung des Arbeitsgerichts Berlin zeigt mit beispielhafter Deutlichkeit, welche hohen formellen arbeitsrechtlichen Hürden zum Schutz der Arbeitnehmer zu überwinden sind.

Wenn der Versuch des Interessenausgleichs mit oder ohne Erfolg formell beendet ist, kommen weitere Hürden des Arbeitsrechts auf den Arbeitgeber zu. Dies betrifft die Rechte der Arbeitnehmer aus dem Kündigungsschutzgesetz in Verbindung mit § 126 InsO. Hierüber berichte ich zu gegebener Zeit.

Rechtsanwalt Dr. F.-Wilhelm Lehmann, Schliersee

Kooperationspartner in München und im Raum Düsseldorf

Telefon: 0172-2 99 60 74

Informationen:www.arbeitsrecht-ratgeber.eu und www. arbeitsrecht-lehmann.com

 

PS: Wortlaut des § 122 InsO für Interessierte

Für interessierte Leser zitiere ich im Folgenden den Wortlaut des § 122 InsO, mit dem sich das Arbeitsgericht Berlin befasst hat.

§ 122 Gerichtliche Zustimmung zur Durchführung einer Betriebsänderung
(1) Ist eine Betriebsänderung geplant und kommt zwischen Insolvenzverwalter und Betriebsrat der Interessenausgleich nach § 112 des Betriebsverfassungsgesetzes nicht innerhalb von drei Wochen nach Verhandlungsbeginn oder schriftlicher Aufforderung zur Aufnahme von Verhandlungen zustande, obwohl der Verwalter den Betriebsrat rechtzeitig und umfassend unterrichtet hat, so kann der Verwalter die Zustimmung des Arbeitsgerichts dazu beantragen, dass die Betriebsänderung durchgeführt wird, ohne dass das Verfahren nach § 122 Abs. 2 des Betriebsverfassungsgesetzes vorangegangen ist. § 113 Abs. 3 des Betriebsverfassungsgesetzes ist insoweit nicht anzuwenden. Unberührt bleibt das Recht des Verwalters, einen Interessenausgleich nach § 125 zustande zu bringen oder einen Feststellungsantrag nach § 126 zu stellen.

(2) Das Gericht erteilt die Zustimmung, wenn die wirtschaftliche Lage des Unternehmens auch unter Berücksichtigung der sozialen Belange der Arbeitnehmer erfordert, dass die Betriebsänderung ohne vorheriges Verfahren nach § 112 Abs. 2 des Betriebsverfassungsgesetzes durchgeführt wird. Die Vorschriften des Arbeitsgerichtsgesetzes über das Beschlussverfahren gelten entsprechend; Beteiligte sind der Insolvenzverwalter und der Betriebsrat. Der Antrag ist nach Maßgabe des § 61 a Abs. 3 bis 6 des Arbeitsgerichtsgesetzes vorrangig zu erledigen.

(3) Gegen den Beschluss des Gerichts findet die Beschwerde an das Landesarbeitsgericht nicht statt. Die Rechtsbeschwerde an das Bundesarbeitsgericht findet statt, wenn sie in dem Beschluss des Arbeitsgerichts zugelassen wird; § 72 Abs. 2 und 3 des Arbeitsgerichtsgesetzes gilt entsprechend. Die Rechtsbeschwerde ist innerhalb eines Monats nach Zustellung der in vollständiger Form abgefassten Entscheidung des Arbeitsgerichts beim Bundesarbeitsgericht einzulegen und zu begründen.

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